Es fehlen die Worte

Die Ereignisse der Silvesternacht – hier in Köln und auch in anderen Städten – lassen mich im doppelten Sinn sprachlos zurück. Zum einen ist es einfach schwer zu verstehen, was da am Hauptbahnhof geschehen ist. Und es ist genau so schwer zu verstehen, dass offenbar bekannte Informationen nur tröpfchenweise berichtet werden.

Zum anderen fehlen die Begriffe, das zum Ausdruck zu bringen, was ich denke. Also, sie fehlen nicht wirklich, sondern sie sind so gründlich mit einer mißliebigen politischen Ausrichtung in Verbindung gebracht worden, dass sie für normale Äußerungen „verbrannte Erde“ sind.

Den „besorgten Bürger“ z.B.  finden wir nur noch in Anführungszeichen, als ob diese Sorge grundsätzlich vorgeschoben wäre. Wie soll man denn nun ausdrücken, dass man sich nun einmal Sorgen macht angesichts dessen, was da passiert ist?

Dass man der mangelnden Information nicht traut, die es da offensichtlich gegeben hat, kann man auch nicht ausdrücken, ohne allzu schnell mit denen in einen Topf geworfen zu werden, die den Begriff „Lügenpresse“ im Diskurs nutzen. Aber ich weiß auch nicht, wie ich eine Presse nennen soll, die statt vierte Macht im Staat zu sein und objektive und relevante Information zu bieten, anscheinend freiwillig die Gesinnungs-Nanny für gute Staatsbürger spielt.

In der letzten Zeit wurde so gründlich Sprache an den Pranger gestellt, dass es schwierig geworden ist, Anfragen zu stellen oder moderate Kritik zu äußern, weil damit sofort eine lange Assoziationskette ausgelöst wird, die verhindert, dass die eigentlichen Inhalte überhaupt wahrgenommen werden. Von Ernstnehmen will ich erst gar nicht reden.

Gerade heute habe ich wieder ein beredtes Beispiel dafür gefunden: „Wahrheit ist ein zartes Gut“ (Spiegel Online) – Der ganze Beitrag besteht fast ausschließlich aus suggestiven Fragen, Zuschreibung von Argumentationsmustern und Anstoßen von Assoziationsketten.

Der Demokratie und der Meinungsfreiheit tut man damit keinen Gefallen. Aber „das wird man ja wohl mal sagen dürfen“ ist ja auch schon länger „verbrannte Erde“.

Gürtellinie im freien Fall

Gestern und heute habe ich mich mit verschiedenen Leuten darüber unterhalten, dass die Sprache offenbar immer gröber und die Witze derber werden. Viele empfinden sexuelle Anspielungen nicht einmal mehr als solche. In Doku-Soaps, Talk-Shows und Casting-Shows wird der Respekt vor und die Würde von Menschen immer gnadenloser demontiert. Das, was als „unter der Gürtellinie“ angesehen wird, rutscht immer tiefer – Richtung Kniekehle (und weiter).

Alles, um den Voyeurismus (und vielleicht auch die Schadenfreude) zu befriedigen? Ich weiß es nicht, und ich verstehe es auch nicht. Ich weiß nur, dass es mich gerade hochgradig nervt.

Alles nur Spaß? Unser Fazit im gestrigen Gespräch war jedenfalls: Die Schnittmenge zwischen Spaß und Freude ist erschreckend klein.

Da wünschte ich mir, dass der Text der heutigen Lesung (im außerordentlichen Ritus) wieder neue Aufmerksamkeit bekäme:

„Von Unzucht aber und Schamlosigkeit jeder Art oder von Habgier soll bei euch, wie es sich für Heilige gehört, nicht einmal die Rede sein. Auch Sittenlosigkeit und albernes oder zweideutiges Geschwätz schickt sich nicht für euch, sondern Dankbarkeit.“ (Epheser 5, 3+4)